Damian Duchamps' Blog

Freie Bildungsinhalte contra Verlagskontrolle

Posted in OER, Urheberrecht by damianduchamps on März 2, 2012

Dieser Post entstand als Kommentar zum Beitrag MIT OpenCourseWare und Flat World Knowledge kooperieren bei offenen Lehrbüchern auf Netzpolitik.org.

Verlage gehen den Wandel im Schulbuchmarkt, wie nicht anders zu erwarten, sehr konservativ an. Ihnen geht es weniger um revolutionäre Visionen oder Lösungen als um eine Bewahrung etablierter Geschäftsmodelle. Deshalb überrascht es auch in keiner Weise, dass der erste Vorstoß deutscher Verlage in Richtung digitales Schulbuch dermaßen bescheiden ausfällt. Was allenfalls überraschen kann, ist die Einigung auf eine gemeinsame Plattform.

Das Konzept von FlatWorldKnowledge gründet auf einem alternativen Geschäftsmodell. In der Vorstandsetage des amerikanischen Verlages sitzen jedoch auch keine Wohltäter der Menschheit, sondern Manager, die ihr Unternehmen profitabel halten müssen. Allerdings kalkulieren sie völlig anders. Sie sind bereit über die kostenlose digitale Version ihrer Bildungstitel zunächst auf Einnahmen zu verzichten, spekulieren aber darauf, genug Nutzer durch die Qualität zu überzeugen und aus ihnen Käufer von Printversionen zu generieren. Dass die Rechnung wohl aufgehen muss, zeigt das Fortbestehen des Angebots.

Die Entwicklung am digitalen deutschen Schulbuchmarkt macht jedoch einmal mehr deutlich, welche Funktion freien Bildungsinhalten (OER) auch im deutschen Sprachraum zukommen wird. Wohl nur wenigen ist klar, welche dramatischen Veränderungen sich mit der Digitalisierung des digitalen Schulbuches für den Bildungsbetrieb ergeben werden. Das meint nicht nur veränderte Lern- und Unterrichtsszenarien sondern auch das Ende der freien Kopie!

In dem Moment, wo der Schulalltag durchdigitalisiert ist, erhalten Schulbuchverlage über DRM die totale Kontrolle über die von ihnen bereitgestellten Bildungsinhalte. Lehrer wie Schüler werden als User lediglich Lizenznehmer sein. Was kopiert werden kann und in welchem Umfang und zu welchen Konditionen, unterliegt der kompletten Kontrolle der Verlage.

Noch können Lehrer nach Herzenslust aus Schulbüchern und Arbeitsheften kopieren, was der Kopierer hergibt. Den Verlagen fehlt die Kontrollmöglichkeit und sie müssen sich mit den Millionen zufrieden geben, welche sie mit den Kultusministerien im Rahmen des „Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG” ausgehandelt haben. Auch was die Digitalisierung analoger Inhalte angeht, fehlt ihnen noch die wirkliche Kontrolle. Der „Schultrojaner“ war ein erster Versuch, sich diese anzueignen.

Freie Bildungsinhalte bereiten deutschen Bildungsverlagen derzeit noch wenig Kopfschmerzen. Noch ist das Angebot im deutschsprachigen Raum zu gering, um als Konkurrenz gesehen zu werden. Bisher war die Entwicklung freier Bildungsinhalte auch mehr auf den universitären Kontext beschränkt. Doch mittlerweile beginnt es sich auch im Bereich der schulischen Bildung zu regen. Der Bewegung fehlt eigentlich nur noch der entscheidende Push. Sollte der kommen, werden Bildungsverlage sehen, wie sie sich die lästige freie Konkurrenz vom Leibe halten. Dazu haben sie zwei Möglichkeiten, Überzeugen durch Innovation oder Aussperren. Mit ersterer Lösung ist wohl eher nicht zu rechnen, da sie teuer ist und Risiken birgt. Also wird man zur zweiten Lösung greifen, Aussperren.

Es ist schon jetzt abzusehen, dass die deutschen Bildungsverlage, anders als Apple, ihre Schulbuchplattform nicht für freie Inhalte von Anbietern (außerhalb ihrer Koalition der Verzweifelten) öffnen werden. Nimmt die digitale Schulbuchentwicklung erst einmal an Fahrt auf, werden vermutlich auch günstige Hardwareangebote durch die Verlage auf den Markt kommen. Diese werden im schlimmsten Fall (fast komplett) geschlossene System sein ähnlich den Amazon Kindle e-ink Lesegeräten. Damit könnten Verlage freie Bildungsinhalte problemlos aussperren. Hier wird Aufmerksamkeit und Initiative der im Bereich schulischer Bildung Tätigen gefordert sein. Noch ist es nicht so weit, doch die Entwicklungslinien zeichnen sich bereits ab.

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6 Antworten

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  1. segu_geschichte (@segu_geschichte) said, on März 3, 2012 at 10:34 am

    Eine Frage zu den technischen Möglichkeiten, die freien Bildungsmedien, die ja alle online verfügbar sind, auszusperren:

    Auf den digitalen Endgeräten, die Schüler_innen und Lehrer_innen in Zukunft (so in 10 Jahren) benutzen werden und auf denen mittels welcher Präsentationsformate auch immer Schulbücher oder andere proprietäre Medien angezeigt werden, wird es doch in Zukunft immer auch einen normalen Internetzugang/Browser geben?! Also besteht in den Schulen auch immer einen Zugriff auf die OER.

    Oder sollten es SB-Verlage oder Apple tatsächlich schaffen, ein Präsentationsformat (wie iTunesU, iBook, oder das zukünftige Anzeigeformat des Verbandes Bildungsmedien) außerhalb des Internet zu etablieren, auf denen alle proproetären Bildungsmedien angeboten werden und bei denen den OER der Zugang versperrt bleibt und gleichzeitig kein normaler Zugang zum Internet besteht. Das ist nicht vorstellbar.

    Deshalb scheint mir das oben entworfene bedrohliche Szenario eher unwahrscheinlich.

    Wie oben beschrieben, ist die Strategie der Verlage betreffs digitaler Formate heute eher konservativ. Deshalb sind die OER zurzeit klar im Vorteil: Sie können neue Ideen besonders beim Lernen mit digitalen Medien viel schneller transportieren.

    Ob und wie sich die OER etablieren oder nicht hängt vor allem von den Nutzern ab. Lehrer_innen wissen doch sehr genau, was sie brauchen und benutzen wollen. Es ist nicht schwer vorherzusehen, dass der Anteil der Lehrer_innen, die sich die Angebote zum digitalen Lernen zunutze machen, stark steigen wird. Damit wird quasi automatisch das Gewicht der OER steigen und es werden auch immer mehr Inhalte von Lehrer_innen beigesteuert.

    Wichtig ist ein Bemühen wie Ihres, Herr Duchamps, mit „cc your edu“ einen zentralen Ort, in Zukunft eine übersichtliche Datenbank der OER zu schaffen.

    Übrigens eine segu-Erfahrung: Sowohl Klett als auch Cornelsen haben die segu-Homepage (ohne dass segu nachgefragt hat) verlinkt und freundlich auf das Angebot hingewiesen; letztes Jahr konnte ich segu auch auf einer Klett-Tagung vorstellen. Daraus leitet sich auch die Frage ab, inwieweit OER und Schulbuchverlage sich nur als Konkurrenten begreifen sollten oder ob auch Kooperationen und Synergieeffekte möglich sind. Vielleicht werden die Verlage auch von den OER lernen, zB., dass ein restriktives Kopierverbot kontraproduktiv und kaum durchsetzbar ist.

  2. damianduchamps said, on März 3, 2012 at 10:59 am

    Das von mir gezeichnete Szenario ist sicherlich das Extrem und ich hoffe, es wird so nie eintreten. Für möglich halte ich es schon, vor allem in dem Moment, wo Bildungsverlage mit eigener Hardware auf den Markt kommen. Sollte die OER Bewegung stärker werden und Auftrieb erhalten durch begrenzte Finanzmittel für den Bildungsbereich, werden die Bildungsverlage darin ganz sicher eine unliebsame Konkurrenz sehen.
    Gegenwärtig sieht man Initiativen wie segu als interessante Möglichkeiten und ich würde mich nicht wundern, wenn nicht eines Tages Klett oder Cornelsen anklopfen, um die Plattform segu zu erwerben, um sie dann als kostenpflichtiges Angebot ins Verlagsportfolio zu übernehmen.
    Im deutschsprachigen Raum brauchen wir definitiv eine zentrale Datenbank für OER. Die Sammlung auf cc-your-edu entstand mehr als Sammlung von Beispielseiten für Besucher der Seite, die sehen wollen, wie OER Angebote aussehen können. Ich denke aber schon weiter in Richtung Datenbank, möchte das jedoch nicht unbedingt alleine angehen. Es braucht für so etwas andere Strukturen, wie die OER Bewegung insgesamt im deutschsprachigen Raum Strukturen braucht ähnlich Wikimedia, um wirkungsvoll für die Sache arbeiten zu können.

  3. segu_geschichte (@segu_geschichte) said, on März 3, 2012 at 11:36 am

    Dazu eine klare Festlegung: segu ist unverkäuflich!

  4. […] Höhe der Deckung durch die Zuschüsse – Gewinn erwirtschaften? Die Schulbuchverlage haben keine Monopolstellung auf die Expertise bei der Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien. Vielmehr hemmen sie in ihrer konservativen […]

  5. […] background-position: 50% 0px; background-color:#222222; background-repeat : no-repeat; } damianduchamps.wordpress.com – Today, 1:22 […]

  6. martinlindner said, on März 27, 2012 at 4:37 pm

    zur geschlossenheit des kindle: er ist völlig offen für freie inhalte. ich kann z.b. inhalte aus dem netz mit einem „send2kindle“-knopf (html2txt) direkt auf den kindle schicken. eigene texte, die als txt formatiert sind, werden sehr schön dargestellt. das war ein zentraler grund, mir das gerät zu kaufen. pdfs gehen auch, sind aber lästig, weil sie nur selten im layout genau zum screen passen, d.h. man muss dann hin- und herscrollen.

    „geschlossen“ ist er insofern, als er blöderweise kein epub-format kann. (man muss das erst mit einer fremdsoftware – calibre ist gut – umwandeln.) und natürlich bietet der amazon store nicht alles an.


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