Damian Duchamps' Blog

Gräbt die neue Vereinbarung zum digitalen Vervielfältigen dem Thema OER das Wasser ab?

Posted in Schule und Recht, Urheberrecht by damianduchamps on Dezember 7, 2012

Welches Wasser gräbt diese Vereinbarung der Bewegung um OER eigentlich ab, könnte man spitz fragen. Wie @tommdidomm in seinem Blog kubiwahn richtig beobachtet, ist das Thema OER in deutschen Lehrerzimmern bisher schlichtweg unbekannt.

„Der Begriff OER ist, so sehr ich das auch bedauern mag, kein Begriff aus der Alltagswelt meiner Kollegen und mir.“

Anders als der Begriff „Schultrojaner“, welcher von der Blogosphäre in die Mainstream Medien hinüber transferierte und für eine zeitweilige Verunsicherung in den Lehrerzimmern sorgte, führt das Thema OER noch immer ein Schattendasein. Und anders als in anderen Ländern wie Polen mit seiner OER Schulbuch Initiative oder den USA fehlt Deutschland eine offizielle Unterstützung der Bewegung um freie Bildungsressourcen durch die Kultusministerien. Dieses würde OER auf eine Ebene heben mit den von Verlagen angebotenen Materialien. Immerhin aber wird das Thema durchaus wahrgenommen, auch von den Verlagen selbst. Die Augsburger Studie zu Open Educational Ressources, gefördert vom Verband Bildungsmedien e.V.“ belegt dieses mehr als eindeutig. Zwar werden hier nicht nur Angebote untersucht, die man originär als OER bezeichnen kann, sondern auch solche von öffentlichen und kommerziellen Anbieter mit einem Lobby- oder Werbehintergrund , doch die Studie zeigt, dass man von Seiten der Bildungsverlage potentielle Konkurrenz frühzeitig genug erkennen und abschätzen können möchte.

Wie ist nun in diesem Zusammenhang die neue Vereinbarung in Ergänzung zum Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG einzuordnen?

Die Kultusministerien der Länder haben sich mit dem Verband Bildungsmedien sowie den Verwertungsgesellschaften VG WORT, VG Bild-Kunst und VG Musikedition darauf geeinigt, dass „künftig urheberrechtlich geschützte Inhalte aus Büchern und Unterrichtswerken auch digital vervielfältigt und den Schülerinnen und Schülern im Unterricht zugänglich“ gemacht werden dürfen.

Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung und kommt der täglichen Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern entgegen. Schulbuchseiten können nun endlich digitalisiert werden und dürfen „auch zur Unterrichtsvor- und -nachbereitung“ genutzt werden. Was dieses genau bedeutet, wird man sicher in nächster Zeit noch genauer erläutern. Es ist zu vermuten, dass damit die Erlaubnis gegeben ist, aus Materielien der Schulbuchverlage digitalisierte Inhalte z. B. in eigene Arbeitsblätter einzubinden. Mit der Möglichkeit, eingescannte Materialien „im Unterricht über PCs, Whiteboards und/oder Beamer“ wiederzugeben, wird man den noch sehr geringen Bestand an Titeln in des Digitalen Schulbuchs der deutschen Verlage in Version 1.0 ausgleichen wollen bzw. Schulen, die das Angebot nicht nutzen möchten, eine legale Möglichkeit eröffnen, Verlagsinhalte doch entsprechend zu nutzen. Ob es möglich ist, digitalisierte Materialien auch in Lernmanagementsysteme einzubinden, lässt sich aus den bisherigen Verlautbarungen nicht entnehmen. Lediglich eine Speicherung auf einem Schulserver wird für Lehrkräfte eingeräumt, solange die digitalisierten Materialien nur für sie selbst zugänglich sind.

Die mit diesem Vertrag den Schulen eingeräumten Möglichkeiten zur Nutzung digitalisierter Materialien analogen Ursprungs sind noch Lichtjahre entfernt von den Nutzungsmöglichkeiten Creative Commons lizenzierter Bildungsmaterialien. So können digitalisierte Materialien nicht unter den Lehrkräften weitergegeben werden, etwa über ein gemeinsames Verzeichnis auf einem Schulserver. Selbiges dürfte dann auch für eigene erstellte Materialien gelten, welche digitalisierte Materialien analogen Ursprungs enthalten (falls eine solche Nutzung überhaupt zulässig ist; siehe oben). Außerhalb der Schule geht sowieso gar nichts mehr, ganz wie bei den analogen Kopien von Verlagsmaterialien. Und ähnlich wie bei der bisherigen allein auf analoge Kopien beschränkten Vereinbarung gibt es eine enge Vorgabe zum Umfang der zulässigen digitalen Kopien.

Welche Auswirkung wird diese neue Vereinbarung dann auf das Thema OER in Deutschland haben? Für die kleine Zahl von Interessierten mit dem notwendigen Hintergrundwissen und Bewusstsein, wird die Lage klar sein. OER sind relevant wie bisher. Es hat sich nichts wirklich geändert, da eine freie Nachnutzung von digitalisierten Bildungsmaterialien mit analogem Verlagsursprung im Sinne von OER bzw. eine Nutzung im Geist der UNESCO Erklärung von Paris auf der Grundlage der neuen Vereinbarung nicht möglich ist.

Für weniger informierte Kreise, wozu ich nach bisherigen Erfahrungen des Nichtengagements in Sachen OER auch Kultusministerien zähle, wird mit der neuen Vereinbarung alles im grünen Bereich sein. Auch dort war längst klar, dass die Zeit weiter gegangen ist und Lehrkräfte im Unterricht selbst, sowie seiner Vor- und Nachbereitung nicht mehr auf Kopie, Schere und Klebestift zu beschränken sind. Die Debatte um den „Schultrojaner“ hat auch dem letzten Hinterwäldler gezeigt, dass ein generelles Verbot der Digitalisierung mit einhergehender Kriminalisierung von Lehrkräften wohl der falsche Weg ist. Mit der neuen Vereinbarung hat man hier nun die bisher geltende Beschränkung aufgehoben und „eine komfortable und rechtssichere Handlungssituation für einen zeitgemäßen Unterricht entwickelt.“ Ende gut, alles gut, wird die Devise in den Kultusministerien lauten. In den von mir als weniger informierten Kreise bezeichneten Gruppierungen wird man mit dem Anliegen einer Förderung von OER in Zukunft sicher einen schwereren Stand haben. „Was wollt ihr denn,“ wird man fragen, „der Schultrojaner war eh vom Tisch und nun könnt ihr doch endlich analoge Materialien der Verlage digitalisieren?“

In den gar nicht informierten Kreisen, wozu dann auch die Mehrheit der Lehrenden zu zählen ist, wird man auch nicht auf offenere Ohren stoßen nachdem diese Vereinbarung auch dort angekommen ist. Ankommen wird sie in den Schulen ganz sicherlich sehr schnell über offizielle Dienstwege, da den Landesregierungen daran gelegen ist, ihren Bediensteten im Schuldienst Rechtssicherheit zu geben. Wenn es jetzt tatsächlich möglich sein sollte,  in der Unterrichtsvor- und Nachbereitung eigene Materialien auf der Grundlage von analogen Verlagsmaterialien zu erstellen, wer braucht dann noch OER, werden in Zukunft vermutlich viele Fragen, wenn man versucht ihnen das Thema näher zu bringen. Die Weitergabe von selbst erstellten Materialien ob mit oder ohne verarbeitete Verlagsmaterialien hat sich innerhalb von Lehrerzimmern ohnehin nie an Gesetze und Vereinbarungen gehalten.

Fazit: Das Thema OER hatte auf der Grundlage bisher bestehender Vereinbarungen zwischen den Kultusministerien und den Bildungsverlagen einige zusätzliche Argumente, die für OER sprachen und auch von Lehrkräften zu verstehen waren, für die es primär um die Rechtmäßigkeit ihres Tun und Handelns im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit ging. Für diese mögliche Zielgruppe wird die Notwendigkeit, sich mit dem Thema OER zu befassen mit der neuen Vereinbarung deutlich weniger relevant.

Im Sinne der Unesco Vereinbarung von Paris von 2012 bringt uns die neue Vereinbarung der Kultusministerien und der Bildungsverlage leider keinen einzigen Schritt weiter, denn die Ziele der Pariser Vereinbarung sind weitaus höher anzusiedeln. Es besteht damit in Deutschland weiterhin ein starker Bedarf, ein Bewusstsein zu schaffen für freie Bildungsmaterialien und ihre Chancen für eine uneingeschränkte Bildung für jedermann.

Dem Anliegen von OER schadet die neue Vereinbarung also nicht grundsätzlich, beraubt es jedoch eines Zugangsweges, um die entsprechenden Zielgruppen für das Thema sensibilisieren zu können.

Alle Zitate zur neuen Vereinbarung sindErgebnisse der Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz am 6. Dezember 2012 in Bonnentnommen.

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