Damian Duchamps' Blog

Zum Teufel mit dem Bildungsförderalismus

Posted in Schulpolitik by damianduchamps on Februar 5, 2011

In Deutschland haben wir gravierende Probleme mit dem Bildungssytem, was nun wirklich seit der ersten PISA Studie jedem klar ist. Die Probleme des Schulsystems sind vielfältig und darum so schwierig zu packen. Prinzipiell lassen sich diese Probleme für mich auf drei Kernbereiche reduzieren. Die Reihenfolge entspricht der Größe und Bedeutung des jeweiligen Problems.

  1. Unterricht: ist noch nicht in der Gegenwart angekommen
  2. Ungerechtigkeit: gesellschaftlicher Hintergrund bestimmt Schullaufbahn
  3. Bildungsförderalismus: fehlende Kompatibilität der Systeme, Insellösungen

Wenn Punkt eins in Ordnung wäre, wir also an allen Schulen im Land, egal welcher Schulform auch immer, einen schülerorientierten Unterricht hätten, welcher dem einzelnen Schüler seine individuelle Entwicklung ermöglicht, so fielen Punkt zwei und drei deutlich weniger ins Gewicht. Da Unterricht an deutschen Schulen überwiegend nicht schülerorientiert ist, verschärft sich somit die Ungerechtigkeit des Systems und entfaltet die Verschiedenheit der Systeme von Bundesland zu Bundesland erst seine verheerende Wirkung in vollem Maße.

Eine Verringerung der Ungerechtigkeit des Schulsystems durch veränderte Strukturen kann für Teile der Schülerpopulation eine Verbesserung bringen, wird aber ohne eine entsprechende Veränderung von Unterricht letztlich nicht wirklich durchschlagend wirken.

Bleibt noch der Bildungsförderalismus, der zwar ein großes Problem darstellt, dessen Aufhebung aber keine automatische Verbesserung von Punkt eins und zwei garantiert.

Befürworter der Bildungshoheit der Bundesländer argumentieren gerne, dass so verschiedene Systeme ausprobiert werden könnten, um das bessere System zu finden. Grundsätzlich stimme ich dieser Aussage zu. Leider wird jedoch seit Jahrzehnten ausprobiert, mit dem Ergebnis, dass sich nichts verbessert hat. Im Gegenteil haben wir nun eine zerklüftete Bildungslandschaft mit zig verschiedenen Schulformen, Lehrerausbildungen und von einander abweichenden Lehrergehältern. In einem Bericht sprach man von über 50 verschiedenen Schulformen (von denen sich eine kleinere Zahl sich nur der Bezeichnung nach unterscheiden). Die mit der Bildungshoheit einhergehenden Probleme wurden nicht umsonst in den letzten Monaten von allen größeren Medien aufgegriffen.

Sehr schön beschrieb neulich der Gymnasiallehrer Christian Bode in der Süddeutschen in einer Antwort auf einen Brief einer ehemaligen Schülerin (sehr lesenswert, beide) das Problem mit dem Bildungsförderalismus und seinen Folgen:

Das deutsche Schul- und Bildungssystem ist wie der so oft als Bild bemühte Öltanker – schwerfällig und mit langem Bremsweg, wenn es mal in die falsche Richtung geht.
Das ist so und ich habe aufgehört, mir hier Illusionen zu machen. Die ländereigene Bildungs- und Schulpolitik ist nun mal das letzte politische Versuchsfeld, auf dem jeder und jede mal so richtig die Sau rauslassen kann, ohne dafür gleich die Quittung bei der nächsten Wahl zu bekommen. Das schafft Schmerzfreiheit und man findet auch immer eine Studie, die einem Recht gibt. Dazu bedarf es oft nur weniger preiswerter Zutaten, um hier sein eigenes ideologisches Süppchen zu kochen. Man nehme: Elternwille und Chancengleichheit, PISA und skandinavische Gesamtschulen, Zentralabitur und G8, Lernen ohne Noten, Binnendifferenzierung und Inklusion, Einheitsschule und Oberschule, Fördern und Fordern, Soziologengeschwafel und Finanzierungsvorbehalt, das Ganze einmal kurz aufkochen lassen, fertig ist die Schulpolitik. Freilich nur bis zur nächsten Schulreform. Das Schöne an Schule ist eben auch: Jeder kennt sich damit aus, denn jeder war mal da.

Das trifft die Sache wirklich gut (hätte ich natürlich nicht so treffend ausdrücken können als dummer Hauptschullehrer, da bin ich ehrlich – doch das nur nebenbei). Ich denke allerdings, dass hier unter anderem einer der Schlüssel liegt, um tiefgreifende Veränderungen in Unterricht und Schulsystem bundesweit einheitlich überhaupt durchzusetzen zu können.

Was würde es uns nutzen, wenn Bundesland A morgen nach Beendigung aller parteipolitischer Sandkastenzänkereien in einer von allen Parteien getragenen Mutter aller Reformen ein Bildungssystem aus dem Boden stampfte, welches dieses Bundesland in kurzer Zeit auf ein PISA Niveau vergleichbar den Spitzenländern heben würde? Profitieren würden davon die Bürger im Bundesland A. Unter den anderen Bundesländern würden sich einige vielleicht dazu durchringen, leicht adaptierte, meist verwässerte Versionen zu übernehmen. Die anderen würden das Modell von Bundesland A ideologisch zerfetzen und  eigene Gegenentwürfe suchen oder sogar beim Status Quo verharren.

Meiner Meinung nach ist es an der Zeit, den Bildungsförderalismus endlich abzuschaffen. Weg damit, so schnell wie möglich. Seit Bestehen der Bundesrepublik hat uns der Bildungsförderalismus keinerlei Gewinn gebracht. Vielmehr hat er die Probleme des Bildungssystems noch vermehrt. Die wenigen Standards, auf welche die Bundesländer sich in der Vergangenheit einigen konnten, reichen nicht, und es ist keine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage zu erwarten. Mit der zunehmenden Zersplitterung der Bildungslandschaft wird die Migration von Familien innerhalb der Bundesrepublik immer weiter erschwert. Früher waren es die NRW Abiturienten, die in Bayern nicht zum Studium zugelassen wurden, heute trifft es auch die Schüler, die mit einem Umzug in ein anderes Bundesland ihre bisherige Schulform nicht besuchen können oder eine Ehrenrunde drehen müssen wegen unterschiedlicher Systeme. Das darf nicht sein, nicht in einem Nationalstaat des 21. Jahrhunderts. Migration heute eine Grundvoraussetzung für Arbeitnehmer, die in Arbeit bleiben wollen.

Eine Fragmentierung des Bildungssystems kann kein Zustand auf Dauer bleiben. Solange die Bundesländer die Bildungshoheit besitzen, wird sich dieser Zustand nicht verbessern, sondern tendenziell eher verschlechtern, wie die vergangenen Jahrzehnte mehr als deutlich belegen.

Natürlich garantiert ein Bildungssystem unter Bundeshoheit noch lange keine idealen Verhältnisse. Es geht uns dann allen gleich gut oder schlecht. Allerdings denke ich, dass ein solches System nicht den wahlperiodenzyklischen Veränderungen unterworfen wäre wie auf Länderebene. Dort bedeutet in der Regel jeder Regierungswechsel, der mit einem deutlichen Wechsel der parteilichen Machtverhältnisse einhergeht, auch eine veränderte Bildungspolitik; siehe NRW.

Schulentwicklung braucht Stabilität und Verlässlichkeit. Die scheint mir auf Bundesebene leichter zu erreichen, schon alleine der Dimensionen und der damit verbundenen Kosten wegen. Die Abschaffung des Bildungsförderalismus sollte auf längere Sicht zu einer Beruhigung in der Bildungslandschaft führen und wäre ein Anfang für eine notwendige Vereinheitlichung der Strukturen.

Eine Bildungspolitik unter Bundeshoheit wäre außerdem ein Grund mehr, Schulen größere Autonomie zu gewähren, überall im Land. Schon in den Bundesländern zeigt sich, welch aufgeblähte und teure Verwaltungsstrukturen sich im bestehenden System mit unselbständigen Schulen über die Jahrzehnte entwickeln konnten.(*1) Das eingesparte Geld könnte direkt in die Schulen fließen.

Die Frage ist nun, wie kommt man zu einer Abkehr vom Bildungsförderalismus? Wie werden wir ihn los? Die  Politiker der Länder werden sich mit allen Mitteln wehren, sich ihr Mittel zur Selbstverwirklichung nehmen zu lassen. Braucht es ein Volksbegehren, einen Volksentscheid, eine Petition im Bundestag, einen Aufstand der Schüler, Eltern und Lehrer und aller derer, welche unter dem kaputten System leiden? Brauchen wir eine Partei, die sich die Abschaffung auf die Fahnen schreibt?

—–

*1 Ein schönes Beispiel dafür sind die Bezirksregierungen des Landes NRW. Als die um eine reduziert werden sollten, zogen die alle möglichen Verwaltungsarbeiten aus den Schulämtern an sich, um ihre Daseinslegitimation zu erhöhen.

7 Antworten

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  1. Julius said, on Februar 5, 2011 at 3:57 pm

    Ich persönlich sehe den Bildungsföderalismus nicht als eines der drei Grundübel des deutschen Bildungssystems. Wieso? Wie du richtig schreibst, garantiert »dessen Aufhebung […] keine automatische Verbesserung von Punkt eins und zwei«. Ich gehe sogar so weit und sage, dass es für die Schullaufbahn fast aller Schülerinnen und Schüler weder eine Verbesserung noch Verschlechterung bewirkt.

    Das Bildungssystem ist und bleibt ein metaphorischer Öltanker, auch wenn es in der Hand des Bundes läge. Denn tiefgreifende Änderungen wirken frühestens, wenn die erste Schülergeneration durch ist. Das sind 12 Jahre. Oder je nach Land zwei bis drei Legislaturperioden. Viel zu lange, um für die nächste Wahl schon Erfolge vorzeigen zu können. Für den jeweiligen politischen Gegner ist das natürlich ein gefundenes Fressen, Versäumnisse und Untätigkeit vorzuwerfen. Natürlich muss die Opposition, sobald sie an die Macht kommt, selbst Zutaten in die Suppe kippen, um sich nicht den gleichen Vorwürfen auszusetzen. Und schon kochen die nächsten am Brei, mit zweifelhaftem Ergebnis. Ich glaube schon, dass Bildungspolitik die Wahlen beeinflusst. Doch wie so oft im Leben wird man für Negatives abgestraft, Positives wird als Selbstverständlichkeit erachtet. Soll heißen: Mit schlechter Bildungspolitik verliert man Wahlen, mit guter kann man hingegen keine Wahlen gewinnen.

    Die Annahme, dass ein bundesweit einheitliches Schulsystem nicht ein Versuchsfeld würde, ist meines Erachtens illusorisch. Es gibt keinen guten Grund, warum die SPD auf Bundesebene im Gegensatz NRW nicht auch eine im Vergleich zur CDU/CSU andere Bildungspolitik betreiben sollte. Denn auch auf Bundesebene gibt es offensichtlich kein überparteiliches Interesse, nationale Aufgaben gemeinsam und ohne idiologische Grabenkämpfe zu lösen. Die »Reformen« am Gesundheits-, Steuer- und Rentensystem legen davon Zeugnis ab.

    Selbst wenn es aufgrund einer Verkettung schier unendlich vieler glücklicher Zufälle gelänge, dass in alle Bundesländern das Bildungssystem der erfolgreichsten PISA-Teilnehmer eingeführt würde (egal ob in Eigenregie oder unter Federführung des Bundes) hätten wir weiterhin ein großes Problem: Die Qualität des Unterrichts. Wenn der Erdkundelehrer drei der wertvollen Stunden lieber damit verbringt, einen ausführlichen Text über die chinesische Kulturrevolution zu diktieren und die Jahresdaten und Zusammenhänge im Test abzufragen, als systematisch einzuüben, wie man Karten und Diagramme zu Bevölkerungsentwicklung, -verteilung und -dichte analysiert und vergleicht, sind Veränderungen am Bildungssystem unwirksam. Und leider gibt es nicht wenige Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Argument »Das mache ich seit 20 Jahren so!« kommen. Dass man zwanzig Jahre lang auch etwas falsch machen kann, kommt ihnen gar nicht erst in den Sinn.

    Bevor ich noch irrtümlicherweise als Verteidiger des Bildungsföderalismus gebrandmarkt werde, möchte ich betonen, dass ich eine Umverteilung der Gesetzgebungskompetenz in Sachen Bildung genauso befürworte wie du. Das Grundgesetz sollte hier zugunsten des Bundes geändert werden. Die Lage bessert sich allerdings nur für jene, die das Bundesland wechseln. Mehr gewonnen hat man dadurch nicht.

    Ich bin noch hin- und hergerissen, ob man nicht noch weiter gehen und einen Europäischen Rahmen für die Schulbildung schaffen sollte. Mit gemeinsamen Bildungsstandards für die Doppeljahrgangsstufen 1/2, 3/4, 5/6, 7/8, 9/10 (Mittlerer Schulabschluss) und 11/12 (Abitur) sowie einer entsprechenden Anerkennung der Abschlüsse. Denn die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, die Mobilität innerhalb der EU zu fördern und aus Europa die innovativste und leistungsfähigste Volkswirtschaft der Erde zu machen.

    Wie kann man das erreichen? Eine eigene Bildungspartei halte ich für einen denkbar schlechten Schritt. Das wäre wie die Piratenpartei, die nach anfänglichen Erfolgen irgendwie wieder in der Versenkung verschwunden ist. Meines Erachtens hätte man mehr für eine moderne Informationsgesellschaft erreicht, wenn es »Die Piraten in der CDU/SPD/FDP/LINKEN…« gegeben hätte. Eine Art überparteiliche Interessenvertretung, keine Konkurrenz zu den etablierten Parteien. Das Ganze bedarf dann einer enormen Lobbyarbeit, schließlich bekämpft auf diese Weise ja auch den allzu lukrativen Nachhilfemarkt.

    Volksbegehren und Volksentscheide helfen auch nicht viel; sie existieren aufgrund unserer geschichtlichen Erfahrung auf Bundesebene nicht. Ich erachte sie auch nicht als sonderlich nützlich, denn was mir bisher in Berlin an Volksentscheiden untergekommen ist, hatte eher etwas mit Populismus denn mit Verstand zu tun.

    Abwarten und Tee bringt uns hingegen auch nicht weiter. Bleibt meines Erachtens nur, an der Schraub »Unterricht« zu drehen: Sich als Lehrer stärker vernetzen. Individualisierbares Unterrichtsmaterial leicht zugänglich machen, ebenso Lehrerfortbildungen und dazugehöriges Material. Damit es einem als Lehrkraft auch möglichst einfach gemacht wird, (fach)didaktische Neuerungen umzusetzen. Eine Reform der Lehrerbesoldung wäre dabei sicherlich auch angebracht.

  2. […] Duchamps fordert, dass sich der Bildungsföderalismus zum Teufel scheren soll. Denn er sei, kurz zusammengefasst, neben veraltetem Unterricht (Punkt 1) und der Ungerechtigkeit, […]

  3. […] wird immer wieder laut. Gestern fand ich zu dem Thema den sehr interessanten Artikel „Zum Teufel mit dem Bildungsföderalismus“ auf Damian Duchamps’ Blog. Interessant deshalb, weil ganz in meinem Sinne kein Politiker […]

  4. Peter Schwarzmüller said, on Februar 6, 2011 at 7:42 pm

    Im Damians Artikel heißt es an einer Stelle: „Natürlich garantiert ein Bildungssystem unter Bundeshoheit noch lange keine idealen Verhältnisse. Es geht uns dann allen gleich gut oder schlecht. Allerdings denke ich, dass ein solches System nicht den wahlperiodenzyklischen Veränderungen unterworfen wäre wie auf Länderebene.“
    Dem würde ich wie schon Julius nicht zustimmen. Was für einen Öltanker hätten wir denn, wenn Bildungssache zur Nationalaufgabe würde und eine Entscheidung für die gesamte Bildungsrepublik getroffen werden müsste? Seit Jahrzehnten beschweren wir uns über die Bundespolitik, die keine echten Reformen, keinen großen Wurf landet. Alt-Bundespräsidenten forderten einen Ruck, der niemals kam. Läge die Bildungspolitik in Bundeshand, hätten wir entweder eine starke Regierung, die Ihre Vorstellung von Bildung durchsetzt (und das vielleicht alle 4 Jahre wieder) oder wir haben eine schwache Regierung, die andere Ideen ignoriert und deren eigene Ideen blockiert werden. Ich glaube nicht, dass sich Schule unter einer Bundesregierung tatsächlich verbessern würde.

    Und die Vorteile des Föderalismus? Neben den vielen nachvollziehbaren Nachteilen gibt es auf Länderebene offensichtlich die Möglichkeit zu Reformen. Wir sehen außerdem, wie unterschiedlich Bildungspolitik gestaltet werden kann, um sowohl den Verhältnissen in Bremen wie auch denen in Bayern gerecht werden zu können. Ich bezweifle, dass sich die Schulstrukturen in Berlin und Baden-Württemberg tatsächlich über einen Kamm scheren ließen – ohne massiven Widerstand der sich benachteiligt fühlenden Bundesländer und der dort lebenden Menschen – siehe Hamburger Volksentscheid.

    Damit komme ich zu dem Vorschlag von Julius, bundesgesetzliche oder sogar europäische Rahmenbedingungen zu schaffen, in dem Schulen in ihrer Autonomie gestärkt werden sollten. Dies natürlich nicht mit dem Ziel der Regierung, sich aus der Verantwortung (und der Finanzierung) der Schulen zu ziehen, sondern um Schule so gestalten zu können, wie es vor Ort notwendig ist. Frau Merkel kann nicht wissen, ob in Schaumburg eine Gesamtschule sinnvoller wäre als eine Oberschule. Und sie kann auch nicht wissen, ob in Bayern die Bildungsqualität durch Gemeinschaftsschulen gesteigert werden könnte.
    Die Schulen und vor allem die Lehrer an den Schulen vor Ort tragen die Verantwortung für die Bildung der Schüler. Sie haben den Unterricht nach bestem Wissen und Gewissen zu gestalten und haben schon heute theoretisch die Möglichkeit über den Klassenverband hinweg und interdisziplinär zu arbeiten. Dafür bedarf es aber des Engagements der Lehrer und natürlich der Schulleitungen. Die politischen Rahmenbedingungen sind doch eher zu vernachlässigen – denn die oben von Julius genannten Varianten von Unterricht am Beispiel China zeigen, dass Rahmenrichtlinien nur das bewirken, was Lehrer darunter verstehen.

    Und somit komme ich bei jedem Nachdenken über Bildungsqualität zu dem von Damian genannten ersten Punkt an: Unterricht. Ich würde mir aber nicht erlauben zu beurteilen, welcher Unterricht der beste sei. Die heute so hoch gelobten Arbeitsformen der Projekt- und Gruppenarbeit (vs. lehrerzentrierter Unterricht) können, müssen aber nicht zum Erfolg führen – aber damit erzähle ich keinem Lehrer etwas Neues…
    Das Umsichschleudern von Buzzwords wie Binnendifferenzierung und Wochenplanarbeit helfen keinem Lehrer und keinem Schüler. Letztlich trägt der Lehrer die Verantwortung dafür, wie er seine Lerngruppe am besten erreicht und alle Schüler in den Unterricht einbinden kann. Unter diesem Aspekt kann auch das Problem der sozialen Ungerechtigkeit betrachtet werden. Eine Schule/ein Lehrer kennt ihre/seine Problemfälle am besten und muss entscheiden, wie damit umgegangen werden. Darauf zu warten, dass Geld ‚von oben‘ kommt oder durch bildungspolitische Maßnahmen die Ungerechtigkeit verschwindet ist illusorisch. Wer z.B. die Undurchlässigkeit des gegliederten Schulwesens beklagt, der kann durch den Unterricht, durch Schüler- und Elterngespräche darauf hinwirken, dass z.B. ein guter Hauptschüler auf eine Realschule wechselt bis hin zum Gymnasium. Ich muss auch nicht Lehrer an einer Gesamtschule sein, um binnendifferenzierend unterrichten zu können. Ich habe auch an einem Gymnasium die Möglichkeit, für individuelle Fördermöglichkeiten zu sorgen, indem ich mit Kollegen zusammenarbeite und z.B. Klassenverbandsübergreifende Konzepte entwickle. Der Lehrer – und das ist meine einzige Forderung – muss vom Einzelkämpfer zum Teamplayer werden. Die Angst des Einzelkämpfers ist doch lediglich, dass ihm in seinen Unterricht reingeredet werden oder sich die Qualität des individuellen Unterrichts im Kollegium offenbaren könnte. Sicher unbequem für viele Lehrer, aber kein Grund, sie einfach so weiter machen zu lassen und zu hoffen, dass tatsächlich guter Unterricht stattfindet, sobald sich die Tür des Klassenraums schließt.

    Zusammenfassend zu den 3 Punkten Damians:
    1. Unterricht: Lehrer müssen zu Teamplayern werden, die vor Ort die Verantwortung für die bestmögliche Bildung ihrer Schüler tragen. Sie müssen in der Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld der Schüler für die individuelle Förderung sorgen. Schulleitungen sind in dieser Hinsicht wahrscheinlich der wichtigste Faktor, um Verhältnisse vor Ort positiv zu verändern und ein Kollegium zur Zusammenarbeit zu bewegen.
    2. Ungerechtigkeit: Sie hat Ihre Ursache nicht in der Schule, sondern in der Gesellschaft. Wer schon außerhalb der Schule und ganz besonders in den 6 Lebensjahren vor dem ersten Schulbesuch in der Erziehung benachteiligt ist, wird dann nicht von der Schule ungerecht behandelt, sondern wurde und wird von den eigenen Eltern ungerecht behandelt.
    3. Bildungsföderalismus: Ist das, worauf der Einzelne am wenigsten Einfluss hat. Wir können als Lehrer und Eltern hoffen, dass Bildungspolitik weniger ideologisch gestaltet wird, wir sollten uns aber nicht darauf verlassen – alles andere wäre allenfalls frustrierend. Lehrer sind im Allgemeinen Beamte und müssen sich mit jedweder Landesregierung und den daraus resultierenden politischen Vorgaben arrangieren. Sofern sie also nicht alle vier Jahre Ihren Unterricht neu erfinden wollen, sollten Lehrer zu Unterrichtsformen finden, die fernab politischer Vorgaben effektiv und zukunftsfähig sind.

    Meine Ausführungen werden sicher nicht die Meinung aller Lehrer wiederspiegeln und bedienen sicher auch Vorurteile gegenüber Lehrern. Ich hoffe allerdings, dass ich so manches Vorurteil aus der Pauschalisierungsfalle befreien konnte und dass klar geworden ist: Es liegt an jedem einzelnen Lehrer zu zeigen, dass er mit ‚faulen Säcken‘ nichts gemein hat.

  5. Julius said, on Februar 6, 2011 at 8:52 pm

    @Peter
    Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich in einem Punkt nicht missverstanden worden bin: Ich teile Damians Forderung, ein einheitliches Bildungssystem in Deutschland zu schaffen. Bremen braucht meines Erachtens keine anderen Schulstrukturen als irgendein anderes Bundesland. Denn egal welches Schulsystem, ob dreigliedrig, zweigliedrig, Gemeinschaftsschule: Wenn es nicht nur übergestülpt wird, um Personal und Finanzen einzusparen, kann man in jedem System das Bestmögliche für jeden einzelnen Schüler rausholen. Der Widerstand der Hamburger gegen ihre Schulreform hat, nebenbei gesagt, aus meiner Sicht eher etwas den Abstiegsängsten der Caffè-Latte-Mittelklasse und daraus resultierenden Abgrenzungswünschen nach unten zu tun, als dass die geplanten Änderungen in irgendeiner Weise schädlich gewesen wären.

    Ein Bildungssystem bedeutet natürlich nicht, dass jetzt alle Schüler deutschlandweit im Geografieunterricht die Großstadt München behandeln müssen. Der Rahmenlehrplan würde meinetwegen Urbanisierungs- und Suburbanisierungsprozesse vorschreiben, die dann je nach Landstrich an einer anderen Großstadt aufgezeigt werden können. Auch ergänzend zu meinem China-Beispiel: Der Rahmenplan gibt konkret etwas anderes vor. Das, was der Lehrer getan hat, konnte man nicht einmal mit viel Fantasie dem Rahmenlehrplan entnehmen. Insofern hat er sich einfach über ihn hinweggesetzt.

    Zu deiner einzigen Forderung: Dass Lehrer gern Einzelkämpfer sind, stimmt mit meinen Erfahrungen nicht überein. Ich weiß, du hast explizit geschrieben, dass du vielleicht auch Voruteile bedienst. Dennoch möchte ich sagen, dass ich während meiner drei Praktika sehr viele aufgeschlossene Lehrer erlebt habe, die ein großes Interesse daran hatten, dass ich Ihnen Feed-back gebe. Auf der anderen Seite verleitet natürlich das Einzeln-mit-den-Schülern-im-Klassenzimmer-Sein sowie das Allein-Unterricht-Vorbereiten-und-Tests-Korrigieren zum Einzelkämpfertum. Wenn dann laufend irgendwelche Curricula produziert werden müssen, die schlussendlich doch nur im Leitz-Ordner landen, ist das nicht weniger dem Teamgeist abträglich. Auch die Erfahrungen, die Damian in einem früheren Blogbeitrag geschildert hat, dass ein mit viel Elan und Kraft vorbereitetes Förderkonzept einfach an der Unlust mancher scheiterte, frustriert.

  6. […] Rahmen der Diskussion über den Bildungsföderalismus hat Peter Schwarzmüller kommentiert. Der Beitrag, der auch unter blogbildung.net abrufbar ist, enthält einen, wie ich finde, brisanten […]

  7. Peter Schwarzmüller said, on Februar 7, 2011 at 9:29 am

    @ Julius
    „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich in einem Punkt nicht missverstanden worden bin: Ich teile Damians Forderung, ein einheitliches Bildungssystem in Deutschland zu schaffen. Bremen braucht meines Erachtens keine anderen Schulstrukturen als irgendein anderes Bundesland. Denn egal welches Schulsystem, ob dreigliedrig, zweigliedrig, Gemeinschaftsschule: Wenn es nicht nur übergestülpt wird, um Personal und Finanzen einzusparen, kann man in jedem System das Bestmögliche für jeden einzelnen Schüler rausholen.“
    Stimmt, da habe ich nicht ganz genau gelesen. Ich stand noch unter dem Eindruck Deiner Aussage: „Die Annahme, dass ein bundesweit einheitliches Schulsystem nicht ein Versuchsfeld würde, ist meines Erachtens illusorisch. Es gibt keinen guten Grund, warum die SPD auf Bundesebene im Gegensatz NRW nicht auch eine im Vergleich zur CDU/CSU andere Bildungspolitik betreiben sollte.“
    …Irgendwie hatte ich dann gedacht, dass eine Bildungspolitik auf Bundesebene in Deinen Augen auch nicht wünschenswert sei 😉
    Aber ist ja fast auch egal, da wir uns in dem Punkt wieder treffen, in dem es um die Qualität des Unterrichts geht. Meine Ausführungen hinsichtlich des China-Beispiels sollten deutlich machen, dass es völlig egal ist, was in den Rahmenrichtlinien steht. Allenfalls beim Abitur könnte mal auffallen, dass ein Lehrer nicht das gemacht hat, was er sollte. Aber auch das Zentralabitur wird immer noch von dem Fachlehrer korrigiert… Bildungsstandards könne so objektiv sein wie sie wollen, solange sie nicht auch objektiv und zentral überprüft werden.

    Ich bin kein Verfechter des Bildungsföderalismus und habe auch in meinem Artikel geschrieben, dass ich einen bundesgesetzlichen Rahmen vorschlage (damit z.B. nicht irgendwann einmal Darwin aus dem Lehrplan verschwindet), innerhalb dessen sich die Schulen den Erfordernissen vor Ort anpassen können. Diese autonomen Strukturen müssen jedoch hochflexibel sein, da die Strukturen eines Bundeslandes nicht auf das eines anderen übertragbar sind. Das sieht man an dem Ländervergleich zwischen Bayern und Niedersachen, die beide das dreigliedrige System haben – und man sieht es noch deutlicher an dem immer wieder falschen Verweis auf die PISA-Gewinner im Norden Europas: Die Systeme sind definitiv nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar (sonst wäre das im Zuge des PISA-Aktionismus seit 2000 schon längst geschehen). Mit den nötigen Anpassungen hat z.B. NRW die Gesamtschule als Regelschule – ohne dass NRW in irgendeiner Studie einen Spitzenplatz einnehmen würde… (Vgl. auch: http://www.blogbildung.net/?p=73)
    Hinsichtlich des Einzelkämpfer-Daseins greife ich leider auf die Erfahrung aus vier Schulen zurück, die ich bisher intensiv von innen kennen gelernt habe. Es gibt sie, die engagierten Lehrer. Und sie haben Glück, wenn sie ein oder zwei weitere finden, die sogar bereit sind nicht nur zu sagen, dass sie eine Idee toll finden, sondern diese dann auch gemeinsam umsetzen. Es kann an einer Schule auch 30 engagierte Lehrer geben – nur bringt es niemandem etwas, wenn sie alle verschiedene Ideen und Überzeugungen von gutem Unterricht haben. Die Folge ist Frust und Resignation (so spätestens nach 5 Jahren in einem Kollegium das sich nicht bewegt oder bewegen will). Allein schon die Aussicht darauf, dass ein Kollegium evaluiert werden könnte (sei es durch die Schulinspektion oder durch eine unabhängige Evaluation auf Initiative der Schulleitung) trifft auf reine Ablehnung durch ein Kollegium – und das wage ich jetzt mal zu verallgemeinern. Du weist auf die Erfahrungen Damians hin („Kraft“, „Elan“, „Förderkonzept“). Ohne dass ich den Artikel Damians gelesen habe, muss ich dort wahrscheinlich nur das Wort „Förderkonzept“ durch das Wort „Methodenkonzept“ ersetzen und kann den Artikel bei mir veröffentlichen. Mangelnder Elan und Resignation sind keine Einzelfälle – auch wenn jeder Lehrer grundsätzlich sicher bereit wäre Schule zu verbessern.


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