Damian Duchamps' Blog

Digitale Schulbücher – Unwägbarkeiten

Posted in Medienwelt by damianduchamps on Februar 26, 2011

Das Schulbuch gehört, seit es Schule gibt, nahezu untrennbar zu eben dieser. Für spezialisierte Verlage hat sich daraus ein großes Geschäftsfeld ergeben. Mit der zunehmenden Digitalisierung der Medien, die auch vor dem Buch nicht halt macht, fragen sich viele, wann auch das Schulbuch digital werden wird (#shubu20). Einige denken sogar laut darüber nach, ob das Schulbuch an sich überhaupt noch notwendig sein wird.

Schulbücher nehmen auf dem Markt der Bücher eine ganz eigene Stellung ein. Vergleichbar ist sie eventuell noch mit bestimmten Bereichen von Fachliteratur.

Entscheidet sich ein Verlag, beispielsweise einen Roman oder einen Fotoband zu veröffentlichen, so geht er damit ein mehr oder weniger großes Risiko ein. Wurde das Buch von einem etablierten Autoren verfasst, ist das Risiko, auf der Auflage sitzenzubleiben geringer, handelt es sich um einen neuen Autoren, ist es größer. Entsprechend versuchen Verlage, das Risiko möglichst gering zu halten und setzen von daher vor allem auf bekannte Namen und Jungautoren, deren Themen im Trend liegen. Nur ein sehr kleiner Bereich im Portfolio eines Verlages gehört zum Bereich Prestigeprojekte. Dazu zählen beispielsweise Gedichtbände, welche über Gewinne in anderen Bereichen subventioniert werden.

Insgesamt ist so das Geschäft der Buchverlage, welche in den beispielhaft beschriebenen Bereichen (Roman und Fotobuch) operieren, immer mit einem Risiko behaftet, welches die Verlage nach Möglichkeit so gering es geht halten. Darin sind sie vergleichbar zur Musikindustrie, welche Künstler als Investitionen bzw. Kapitalanlagen sieht.

Anders sieht es aus im Bereich der Schulbuchverlage. Das Risiko ist hier deutlich geringer. Warum? Auch Schulbücher können floppen. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch deutlich geringer als etwa bei einem Roman. Anders als im Bereich der Unterhaltungsliteratur ist die Anfangsinvestitionen im Bereich der Schulbücher deutlich größer. Ein Schulbuch muss zunächst konzeptionell vorbereitet und dann zumindest mit einem Band für die Klasse eins im Bereich der Grundschule oder die Klasse fünf im Bereich der Sekundarstufe I auf dem Markt angeboten werden. Vergleichbar zu den Verlagen der Unterhaltungsliteratur wird dann die Werbemaschinerie angeworfen und weitere Investitionen werden fällig. Hat es der Verlag geschafft, das Buch am Markt zu etablieren, sprich ausreichend viele Schulen von der Einführung zu überzeugen, so hat er sich auf viele Jahre eine sprudelnde Einnahmequelle gesichert. (Mich erinnert das etwas an das Geschäft der Ölkonzerne, die Probebohrungen vornehmen, bis sie auf sprudelnde Quellen stoßen. Schulbuchverlage haben allerdings den Vorteil, dass sie deutlich weniger Probebohrungen vornehmen müssen.) Niemand ist verpflichtet, diesen oder jenen Roman zu kaufen. Bei Schulbüchern sieht dieses anders aus. Wurde ein Schulbuch an einer Schule eingeführt, so wird es von der Schule selbst erworben, klassensatzweise, oder von den Eltern der Schüler gekauft. An den Schulbüchern führt kein Weg vorbei. Sie sind Pflicht. Am lohnensten ist das Geschäft wohl, wenn die Bücher nicht von der Schule, sondern von den Eltern erworben werden, da dann die Wiedernutzung eher unwahrscheinlich ist.

Romane gibt es in digitaler Form schon seit Jahren. In der jüngsten Vergangenheit ist das Geschäft mit den ebooks förmlich explodiert. Viele mag es dabei erstaunen, dass es zu diesem Erfolg trotz der Gängelung der Verbraucher durch digitales Rechtemanagement (DRM) kommen konnte. Wundern braucht dieses letztlich nicht, denn auch der digitale Musikverkauf über iTunes wurde trotz DRM zu einem durchschlagenden Erfolg für Apple und die Labels. Bei der Musik hat man sich mittlerweile von DRM weitestgehend verabschiedet. Stattdessen experimentiert man mit Tags. Vom Kunden erworbene digitale Kopien eines Musikstücks werden mit einem Tag (englisch, Markierung) versehen, für den Endkunden nicht wahrzunehmen, welcher die Datei dem Käufer zugeordnet. Das Tag wird bei digitaler Vervielfältigung mitkopiert. Der Ursprung der digitalen Kopie lässt sich damit zurückverfolgen.

Vermutlich wird auch das digitale Buch, welches zur Zeit noch mit DRM belegt ist, zum Leidwesen der Endverbraucher mit fehlender Kompatibilität zwischen verschiedenen Plattformen, über kurz oder lang ohne digitalen Kopierschutz verkauft werden.

Und damit zurück zum Schulbuch. Der Schulbuch ist, wie gesagt, für Verlage eine sehr sichere Einnahmequelle. Verständlicherweise möchten Verlage diese nicht gefährden. Sie suchen also nach Möglichkeiten, auch im digitalen Bereich eine entsprechend sichere Einnahmequelle zu konstruieren. Das ist schwierig. Würde man bestehende Schulbücher oder kommende einfach in Form eines PDF verfügbar machen, ohne Kopierschutz, so wären die Schulbuchverlage in kurzer Zeit erledigt. In einer einzigen Schule befinden sich viele Individuen mit identischen Interessen bezüglich der Schulbücher. In einer vierzügigen Schule mit 25 Schülern die Klasse, haben 100 Schüler beispielsweise ein und das gleiche Englischbuch. Ein ungeschütztes PDF wäre im Handumdrehen an 99 Mitschüler weitergegeben, plus die der kommenden Jahrgänge. Wer wäre bereit und in der Lage, den rechtmäßigen Erwerb der PDF Datei zu kontrollieren und einzufordern? Ein Ausweg wären eventuell Landeslizenzen. Doch wer würde diese bezahlen? Digitale Schulbücher mit einem DRM zu versehen, wäre natürlich eine Lösung. Doch auch dieser Weg ist nicht ideal. Er setzt voraus, dass alle Verlage sich auf ein gemeinsames DRM einigen. Entsprechend wird geeignete Hardware gebraucht, welche dieses DRM unterstützt.

DRM ist für Verlage ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite bedeutet es Kontrolle, auf der anderen Seite jedoch auch ein hohes Risiko. Wird das DRM geknackt, kann es vom Verlag nicht einfach geändert werden, da entsprechende Schlüssel individuellen Usern zugeordnet sind und mit einer Änderung ungültig würden. Das würde dann bedeuten, dass mit dem alten DRM geschützte Bücher nicht mehr zu lesen wären, wenn Usern neue Schlüssel zugeteilt werden oder User zwar ihre alten Bücher lesen können, jedoch keine Möglichkeit haben Bücher mit neuem DRM zu lesen. (Das ist unter anderem ein Grund, warum Adobe seine DRM Technik bisher nicht geändert hat, obwohl es Usern gelungen ist, den Schüssel zu knacken.)

Eine weitere Schwierigkeit besteht für Schulbuchverlage momentan auch noch darin, dass nicht abzusehen ist, welche Hardware letztlich in Schulen zum Einsatz kommen wird. Das iPad, welches momentan an einigen Schulen verwendet wird, ist ein Gerät in einem sich noch entwickelnden Ökosystemen. Dieses wird aus Geräten mit höchst unterschiedlichen Eigenschaften bestehen, bezüglich Speicherkapazitäten, Geschwindigkeiten, Displaygrößen und -auflösungen usw.. Solange ein Buch auf Papier gedruckt wird, ist der Verlag relativ unabhängig. Formate werden vor allem durch industrielle Standards vorgegeben. Neben Tablet PCs gibt es noch E-Book Reader und natürlich auch Desktop PCs und Notebooks. Größer könnten die Unterschiede der verschiedenen Geräten nicht sein. Bleibt man beim PDF, stellt sich die Frage, woran sich das Format der einzelnen PDF Seite orientieren soll? Immerhin ist PDF grundsätzlich ein Laylout-orientiertes Format und Layout macht bei Schulbüchern durchaus Sinn, da es Inhalte strukturiert.

Einige Verlage haben sich auch mit Annäherungen an das digitale Schulbuch in Form von Software für PCs versucht. Auf Plattformen wie dem iPad oder Tablet PCs mit dem Betriebssystem Android wären entsprechend Apps vorstellbar, bzw. gibt es solche bereits. Aber auch hier ergibt sich für das Problem, dass man auf eine Plattform beschränkt ist oder Versionen für verschiedene Plattformen entwickeln muss. Bücher auf Papier gedruckt sind eine stabile Entwicklungsplattform, da sie sich nicht verändert. Papier bleibt Papier. Bei digitalen Geräten gibt es sowohl Entwicklungen im Bereich der Hardware als auch der Betriebssysteme. Hier ergeben sich neue Schwierigkeiten, will man ein Schulbuch als Software realisieren. Es muss eventuell bezüglich seiner Programmierung aktualisiert werden. Für Schulbuchverlage ergeben sich damit neue Herausforderungen und neue Kosten.

Eine Alternative, die häufig genannt wird, wären Schulbücher auf Basis der Webstandards, zum Beispiel HTML 5. Bei dieser Variante werden Verlage vermutlich keinerlei Chance sehen, die gleiche Geschäftssicherheit gewinnen zu können, wie sie sie derzeit mit dem Schulbuch in Papierform haben. Eine Webseite ist nicht mit einem Kopierschutz zu versehen. Es bliebe dann noch die Möglichkeit, digitale Schulbücher in Form von Webseiten in einem zugangsgeschützten Portal zu verbergen. Wer jedoch waren mit wessen Passwort Zugang zu diesem Portal erhält, ist nicht zu kontrollieren.

Was ich mit all diesen Beispielen versucht habe zu zeigen, und ich konnte das nur anreißen, sind die großen Unsicherheiten, welche sich für Schulbuchverlage derzeit noch mit dem Thema digitale Schulbücher verbinden. Auch die Verlage wissen natürlich, dass die Zeit nicht stehen bleibt und das Schulbuch in Papierform irgendwann nicht mehr existieren wird. In den Verlagshäusern sucht man nach Möglichkeiten und experimentiert. Noch ist wohl die Zeit nicht reif, da noch nicht alle Komponenten zusammenpassen und eine für alle zufriedenstellende Lösung zu finden ist. Schulbuchverlage beobachten die Probleme anderer Medienbranchen mit großem Interesse und wollen natürlich deren Fehler vermeiden. Wenn das Kind erst in den Brunnen hineingefallen ist, dann ist es hineingefallen. Den Verlagen kommt zum Glück die Trägheit des Bildungssystems entgegen. Noch beschränkt sich die Forderung aus den Schulen nach digitalen Schulbüchern auf wenige einzelne Stimmen. Die Mehrheit der Lehrkräfte im System wird sich ohnehin lieber nicht auf digitale Experimente einlassen wollen und bleibt lieber beim gewohnten Buch aus Papier.

Bisher sind Schule und Schulbuch untrennbar miteinander verbunden. Ob das so bleiben muss, ist eine andere Sache. Je nachdem, wie Schule und vor allem Unterricht sich verändern, ist es durchaus vorstellbar, dass die Schule der Zukunft ein Schulbuch im herkömmlichen Sinne nicht mehr kennt und braucht. Davon werden die Schulbuchverlage derzeit sicherlich bei ihren Planungen und Experimenten nicht ausgehen.

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5 Antworten

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  1. Jan Reher said, on Februar 27, 2011 at 5:55 pm

    Ein interessanter Post, danke für die Übersicht.
    Weißt du, wie es in anderen Ländern aussieht? Die haben die Probleme ja sicher auch, sind zB Skandinavien oder USA schon weiter?

    • damianduchamps said, on Februar 27, 2011 at 6:57 pm

      In den USA ist man in Bezug auf digitale Schulbücher schon einige Schritte weiter. Herausragend zu nennen ist Florida, wo man noch unter Schwarzenegger aktiv wurde. Jetzt hat man einen auf fünf Jahre angelegtes Projekt gestartet, welches darauf abzielt, bis 2015 alle Schulbücher digital zu ersetzen. Was die Technologie angeht, da ist man nicht komplett festgelegt. Es gibt schon Vorreiter, die auf das iPad setzen und andere Schulen setzen z.B. auf den Kindle. Der großformatige Kindle wurde von Amazon unter anderem als „textbook“ konzipiert. Wenn man davon ausgeht, dass der Kindle noch dieses oder nächstes Jahr kostenlos abgegeben werden könnte von Amazon (rechnet man die bisherigen Preissenkungen hoch) oder er zumindest so billig wird, dass er bei Schaden oder Verlust durch Schüler leicht zu ersetzen ist, dann könnte das durchaus Realität werden. Auch für e-ink reader Farbdisplay werden die Preise fallen.
      Wer Schulbücher mit einem Kindle ersetzen will, geht allerdings noch von einem sehr konservativen Schulbuchmodell aus, da der Kindle nicht wirklich auf Interaktivität ausgelegt ist.
      Bisherige Experimente mit digitalen Schulbüchern konzentrieren sich in den USA vor allem auf den universitären Bereich. Das nur mal so auf die Schnelle.

      • Jan Reher said, on Februar 27, 2011 at 9:37 pm

        Hm, ich find das ziemlich spannend 🙂
        Florida hat damit zumindest den Sprung zu „Da muss etwas getan werden“ geschafft, von staatlicher Seite aus werden wir in D da wohl in den nächsten Jahren nichts zu erwarten haben. Dann lassen wir uns überraschen, was sie für Ergebnisse damit in den nächsten Jahren aufweisen,damit wir uns etwas abgucken können 🙂

        Der kritische Punkt der Vielfältigkeit von Anzeigegeräten ist aber auch bei ihnen ungelöst. Es klingt als würde das jeder Schule überlassen werden, so dass die angesprochenen Schulbuchverlage in diesem Szenario für alle Geräte entwickeln müssten.

      • Martin Leiter said, on Oktober 20, 2011 at 4:04 pm

        Sehr interessanter Beitrag. Wir (eine Softwareschmiede in der Schweiz) arbeiten gerade an einer Lösung die es sowohl Lehrern, wie auch Verlagen ermöglicht Publikationen von PDF ausgehen für das Schulwesen zugänglich zu machen und multimedial antzureichern. Im Vordergrund muss auch unserer Meinung nach sein, dass die Sache Plattform-unabhängig möglich ist.
        Klarer Vorteil des iPad ist aber für das Bildungswesen, dass es sich um ein geschlossenes System handelt und dadurch geringe Wartung (Hardware/Software) erforderlich ist. Auch ist das Kopieren hier dann nicht möglich, wenn es über entsprechende Rechte-Verwaltung geregelt ist – das ist glaub ich eine spannende Möglichkeit für einen Schulbuchverlag!

  2. Frank said, on Dezember 10, 2011 at 11:50 am

    Ein einfaches Mittel wäre eine Pauschalabgabe für jeden Schüler. Die Schulen bestimmen welches Buch sie nutzen. Dafür werden Schülerzahlen benannt und eine Abgabe in noch zu definierender Höhe erhoben. Die Verlage erhalten dann ihren Anteil daran.


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