Damian Duchamps' Blog

Schleichers Kernthesen zur Zukunft von Bildung

Posted in Schulentwicklung, Schulpolitik by damianduchamps on Mai 15, 2010

Andreas Schleicher hat viele Kritiker, was ich nicht unbedingt nachvollziehen kann. Vielleicht passt seinen Kritikern nicht, was er sagt, widerspricht es doch vielen alten Vorstellungen von Schule und dem Schulsystem. Wer wie einige meiner älteren Kollegen der felsenfesten Überzeugung ist, dass Leistung nur mit dem Gymnasium gekoppelt erreichbar ist, und man die Guten herunterzieht, wenn man in heterogenen Lerngruppen in einer Schulform für alle bis Klasse 10 unterrichtet, der wird sich mit Ideen wie den Kernthesen nicht anfreunden können. In seinen Thesen bringt Andreas Schleicher keine neuen Erkenntnisse, doch wie das der Sinn von Thesen ist, bringt er die Dinge einfach mal gut auf den Punkt.

Einen Teil von dem, was er sagt, hatte ich in meinem einleitenden Referat zu meiner Fortbildung eingebracht (siehe Fortbildungsdesaster – FAIL). Ein Teilnehmer nickte ab und zu mal einmal zustimmend, der Rest reagierte nicht, entweder weil man es nicht verstand oder nicht akzeptierte. In manchen Äußerungen wurden meine Aussagen zur Wissensgesellschaft sogar angegriffen.

Was ich an der gegenwärtigen Situation so bedrückend finde ist, dass unsere Entscheidungsträger zwar gerne das Thema Bildung in die Politik tragen und damit auch Wahlkampf machen, doch zu wirklich tiefgreifenden Reformen können sie sich nicht durchringen. Es geht hier natürlich auch um verwurzelte Tradition, Weltanschauungen und zu wahrende Privilegien. Die Gymnasien verteidigen wie eh und je ihre Position. Solange sie auf ihrer bevorzugten Stellung beharren, wird eine Änderung des Gesamtsystems nicht möglich sein. Die Gymnasien scheinen auf dem Weg zur neuen „Hauptschule“ zu werden. Hauptschule meinte ja einmal die Schule, auf welche die Mehrheit der Schüler geht. Wenn der Trend anhält, dann werden wir bald ein zweigliedriges System haben, mit einem Gymnasium, welches mit 60 – 70% mehr als die Hälfte aller Schüler aufnimmt und eine Mittelschule/ Verbundschule, welche den traurigen Rest aufnimmt. Im allgemeinen Schülerrückgang wird Gymnasium um jeden Schüler kämpfen und nur schwierige Fälle an die Müllschule abgeben, auf der die Mehrheit der Migrantenkinder und Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen landen wird. Alleine schon diese Zusammensetzung wird dafür sorgen, dass jeder der kann, sein Kind am Gymnasium anmeldet. Dazu kommt der Trend, dass mittlerweile viele Ausbildungsstellen ohnehin bevorzugt an Abiturienten vergeben werden. Das sind dann vielleicht die Studenten, die zum Studieren „zu doof sind“.

Einen Ausweg sehe ich nur, wenn die Vorstellungen von Leuten wie Herrn Schleicher zur Grundlage der Entwicklung unseres Schulsystems gemacht werden. Wie er selbst sagt, zeigen andere Länder deutlich, dass es anders gehen kann. Ich frage mich, warum wir noch mehr junge Menschen in unserem absolut an den Bedürfnissen der Zeit vorbei strukturierten Bildungssystem ruinieren müssen. Wohl denen, welche die Möglichkeit haben, Schulen im Sinne von Herrn Schleichers Kernthesen, zu besuchen, weil es zufällig eine solche in ihrer Region gibt oder die Eltern finanzstark genug sind, ihren Kindern den Besuch einer solchen zu bezahlen. Pech für die Anderen. Soll das die Zukunft sein?

Zukunft von Bildung – Kernthesen

3 Antworten

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  1. Julius said, on Mai 15, 2010 at 7:59 pm

    Ich bin immer etwas hin- und hergerissen bei der Frage, welche Rolle Wissen im Sinne von Faktenwissen spielt. Einerseits stimme ich zu, dass Fakten durch die ständige Produktion von neuem Wissen eine immer kürzere Halbwertzeiten haben. Andererseits kann ich isolierte Wissensbereiche nur verbinden, wenn ich diese Bereiche kenne. Wenn ich etwas Neues erfahre, muss ich es, um (unorthodoxe) Zusammenhänge sehen zu können, in meinem Kopf irgendwo andocken können.

    • damianduchamps said, on Mai 15, 2010 at 8:43 pm

      Wissen muss definitiv sein. Da hieß es in einem FAZ Artikel zum Thema Multitasking so schön “ Und hierin begründet sich die Macht des Wissens: Wer viel weiß, kann leicht Neues mit altem Wissen in vielfältiger Weise verknüpfen. Wer umgekehrt wenig weiß und Neues lernen soll, muss jedes Mal wieder ganze Netzwerke zusammenschalten.“ (Was soll aus unseren Gehirnen nur werden?). Genauso sagst du es ja mit anderen Worten.
      Wissen müssen wir erwerben, und wir lernen ohnehin pausenlos. Für schulische Zusammenhänge stellt sich nur die Frage, wie wir lernen und was. Das Lernen lernen muss im Vordergrund stehen, denn wir werden es unser Leben lang brauchen. Dabei werden wir auch Wissen erwerben, vielleicht etwas weniger Faktenwissen, in der in der Dauer begrenzten Schulzeit. Wir erwerben dabei aber eben die Grundlage, die uns befähigt, unseren Lernprozess und damit die Aneignung von Wissen, auch nach der Schule eigenständig fortzuführen.
      Ich denke, es ist ein Missverständnis, wenn man in Schulen kanonisiertes Wissen reduzieren will, dass man damit auch gleichzeitig den Erwerb von Wissen in seiner Bedeutung vermindert.

  2. Andreas Kalt said, on Mai 15, 2010 at 10:04 pm

    Danke für dieses Paper von Schleicher.

    Bezüglich Faktenwissen oder nicht gab es neulich mal eine meines Erachtens interessante Diskussion in meinem Blog: http://www.rete-mirabile.net/lernen/fakten-sind-wichtig-kritik-am-open-letter-to-educators


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